Buntspecht

Das Familienleben der Buntspechte

Mit großer Begeisterung hatte ich in jungen Jahren das Buch von Heinz Sielmann aus dem Jahre 1958 „Das Jahr mit den Spechten“ gelesen und mir gewünscht, auch einmal Ähnliches zu erleben. In der Zwischenzeit hatte ich mir einiges Wissen über Vögel angelesen und gelernt, mich ihnen so zu nähern, dass sie mich nicht bemerkten.

Nun brauchte ich noch etwas Glück, und war plötzlich im vergangenen Sommer mitten in meinem Wunschtraum. Teilweise konnte ich ihn sogar selbst mitgestalten, aber ich muss zum besseren Verständnis erst noch von Grundsätzlichem über Buntspechte berichten: Immer dann, wenn wir schon etwa ab Mitte April in Finnland ankamen, wurden wir mit einem Trommelwirbel empfangen. Der passte herrlich zum Vorfrühlingsgesang der Singvögel, die während des Winters in Finnland geblieben waren. Täglich gewann dieser Gesang durch die aus dem Süden zurückkehrenden Zugvögel an Vielfalt und verstärkte das Frühlingsgefühl. Dazu passend wurde auch das Trommeln immer intensiver und lauter. Die männlichen Buntspechte grenzen damit ihr Revier ab und versuchen, eine Partnerin auf sich aufmerksam zu machen. Für die Spechte ist das Trommeln so, wie für die Singvögel das Singen.

Buntspecht Finland

Dazu benutzen sie meistens abgestorbene Äste und Stämme – gerne auch Telefonmasten – als Resonanzkörper und schlagen in schneller Folge mit ihrem Schnabel darauf. Der Ton hallt laut durch den noch winterlichen Wald und wirkt auf uns Menschen wie ein Signal des nahenden Frühlings.

Noch im vergangenen Jahr hatte ein Buntspechtpaar eine Erle für seine Nisthöhle ausgesucht, und aus etwa 3 m Höhe  riefen die immer hungrigen und sehr lauten Jungvögel ab Ende Mai den ganzen Tag. Die Eltern flogen fast pausenlos und brachten Futter, aber das „ti-ti-ti-ti…“ der Jungvögel endete während des ganzen Tages nicht. In dem großen Wald waren die Buntspechte beim Futtersuchen mit ihrem „tak….tak…. tak“ oft zu hören, hin und wieder auch zu sehen. Sie hackten an Bäumen eifrig nach Maden und Käferlarven und hätten auch die junge Brut in  einem Meisen-Nistkasten nicht verschmäht. Die tapferen Kohlmeiseneltern haben aber den viermal so großen Specht durch mutige Sturzflugattacken vertrieben. Einer der Altspechte war meist in der Nähe der Höhle. Da wäre es schwierig gewesen, unbemerkt in die Nähe der Bruthöhle zu kommen, um das Füttern genauer anzusehen. So waren aus sicherer Entfernung nur die an- und abfliegenden Spechte zu beobachten und das laute Futterbetteln der Brut zu hören. Viele Tage später schien eines Morgens etwas anders zu sein. Es war ungewöhnlich still auf dem Gelände. Die Jungspechte waren ausgeflogen und warteten in den höheren Baumregionen auf ihr Futter. In den nächsten Tagen verstummte das Betteln der Jungvögel schließlich ganz: sie waren nicht mehr da! Entweder waren sie mit den Eltern noch weitergezogen, oder sie hatten inzwischen gelernt, sich selbst zu versorgen.

Da die Buntspechte sich jedes Jahr eine neue Bruthöhle zimmern, konnte ich hoffen, dass die neue Höhle in diesem Jahr für mich günstiger liegen würde. Hoffnungen und Wünsche werden nicht immer erfüllt, aber in diesem Jahr hatte ich Glück. Ein weiteres gutes Vorzeichen für die Anwesenheit von Buntspechten auf dem Gelände war eine „Spechtschmiede“ mit großen Mengen aufgepickter Tannen-, Fichten- und Kiefernzapfen, die ich am Fuß einer Birke entdeckt hatte. Die Spechte leben im Winter hauptsächlich von diesen Baumsamen. Mit ihrem Schnabel hacken sie eine Furche in die Baumrinde und klemmen die Zapfen zum Auspicken der Samen hinein.

Buntspecht-HöhleneingangEs deutete also viel darauf hin, dass hier wieder ein Buntspechtpaar tätig war. Und nun galt es, die Stelle zu finden, wo es eventuell seine Höhle baut. An einem Nachmittag Anfang Mai saß ich bei blauem Himmel und Sonnenschein im Windschatten neben dem Haus, um im angrenzenden Wald dem Gesang verschiedener Vögel zuzuhören und sie zu beobachten. An der nahen Erle, in der die Spechte schon im letzten Jahr ihre Höhle gebaut hatten, war das vertraute Klopfen zu hören. Um den Specht nicht bei der Arbeit zu stören oder gar zu vertreiben, ging ich langsam und sehr vorsichtig zu dieser Erle und sah unten am Stamm schon viele frische Späne liegen. Der Specht klopfte weiter und war unten in der Höhle in seine Arbeit vertieft. Von außen war er nicht zu sehen, also musste der Bau schon weit fortgeschritten sein. In diesem Jahr war das Eingangsloch nur in ungefähr 1 ½ m Höhe vom Boden. Das ist recht ungewöhnlich, war für mich aber äußerst günstig. Etwa 4 m vom Baum entfernt fand ich einen Platz, von dem aus ich gut beobachten konnte und dem Specht nicht auffiel, wenn ich mich nicht bewegte. Der eifrige Zimmermann erschien mehrmals mit dem Schnabel voller Späne in der Öffnung und schleuderte sie mit Schwung nach unten. Dann setzte er ohne weitere Unterbrechung seine Holzarbeit fort.

Ich konnte mich später unbemerkt entfernen und wieder auf meinen Beobachtungsstuhl in acht Metern Entfernung setzen. Nach etwa ½ Stunde hörte ich den typischen Buntspecht-Ruf kyck, kyck, kyck…und sah  den „Schichtwechsel“. Das Männchen, erkennbar an dem roten Nackenband, flog sofort ab, das angekommene Weibchen, mit durchgehend schwarzer Kappe, saß erst lange am Stamm vor der Höhle, dann ertönte wieder das Klopfen, und die Späne wurden herausgeschleudert. Wenn eine  Höhle erst einmal so weit gezimmert ist, lassen sich die Spechte nur durch massive Störungen von ihrem Bauprojekt abbringen. Aus sicherer Entfernung ließen sich das Arbeiten und das Abwechseln der beiden Baumeister gut verfolgen. Danach folgte für die nächsten drei Wochen eine ruhige Zeit, in der die Eier gelegt und bebrütet wurden, dabei war nicht viel zu beobachten.

Ende Mai erklang zum ersten Mal aus der Erle leises Futterbetteln der Jungspechte. Das wird, wie aus dem letzten Jahr bekannt ist, nun in den nächsten beiden Wochen immer lauter und ununterbrochen zu hören sein. An den ersten Junitagen habe ich die Specht-Höhle  aus respektvoller Entfernung genauer beobachtet und festgestellt, dass die beiden Elternvögel abwechselnd füttern. Dazwischen liegt eine Pause von etwa 30 Minuten.

Von den Jungvögeln war seit einigen Tagen ein „Dauer-Bettelton ti-ti-ti-ti“ zu hören, der sofort zu einem lauteren „TIH-TIH-TIH-TIH“ anschwillt, wenn ein Elternteil zum Höhleneingang fliegt. Die jungen Spechte wissen, dass sich der Eingang verdunkelt, wenn die Eltern Futter bringen. Das hat mich zu einem Versuch angeregt. Während die Vogeleltern wieder auf Futtersuche waren, habe ich mit einer Hand kurz das Eingangsloch bedeckt. Da schwoll sofort das Bettelrufen wieder lautstärker an. Dieser Versuch genügte mir zunächst. An einem späteren Tag wollte ich versuchen, den Fütterungsvorgang zu fotografieren. Ich zog mich wieder zurück und konnte kurze Zeit danach aus meinem Versteck beobachten, dass ein Altvogel Futter brachte und sich der Bettelton der Brut wieder so verstärkte, wie vorher, als ich den Eingang mit meiner Hand verdeckt hatte.

Das laute Futterbetteln der Jungspechte war in den nächsten zwei Wochen immer kräftiger auf dem gesamten Grundstück zu hören. Als ich dann aus meinem Versteck das geplante Foto vom Fütterungsvorgang machen wollte, wurde ich auf dem Weg dahin von einem Altvogel „erwischt“ und solange beschimpft, bis ich mich ohne Foto zurückzog.

Die jungen Buntspechte riefen bald danach unaufhörlich nach Futter und schauten auch abwechselnd aus der Höhle heraus, wenn die Eltern im Anflug waren. Bald danach sind sie ausgeflogen. Da der Tag sehr windstill war, fiel es besonders auf, dass es auch ungewohnt still war. Man hörte das durchaus penetrante Futterbetteln der jungen Buntspechte nicht mehr. Ich habe es auch nicht vermisst, aber der Blick in das Familienleben der Buntspechte hat mein Wissen doch sehr bereichert und mir auch etwas das Gefühl gegeben, mich, wie einst Heinz Sielmann, erfolgreich und – ohne die Vögel zu stören – dem Familienleben der Buntspechte angenähert zu haben.

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