Schellenten auf dem Väsijärvi (Finnland)

Die rätselhaften Schellenten am Vesijärvi

Schon bei meiner ersten Ruderbootfahrt mit meiner Frau auf dem Vesijärvi im Jahre 1964 waren mir ungewöhnlich große Nistkästen in den Uferbäumen vieler Nachbargrundstücke aufgefallen. Sie erklärte mir, das seien „telkänpöntöt“= Nistkästen für Schellenten. Nach dem Blick in den „Suomalainen Lintu-Opas“ = „Finnischer Vogelführer“ war es sicher, dass ich mehr über diese Schellenten erfahren wollte. Je mehr dann mein Wissen über sie anwuchs, desto intensiver habe ich mich in diese lebhaften kleinen und kompakten Enten mit dem relativ großen Kopf und den bernsteinfarbenen Augen verliebt. Inzwischen war mir bekannt, dass die Schellenten zu den wenigen Entenarten gehören, die in Höhlen brüten und, dass ihre Küken nach dem Schlüpfen oft sofort große Abenteuer überstehen müssen. Mit einem mutigen Sprung ins Ungewisse beginnen sie ihr Leben außerhalb des Nistkastens. Sie stürzen sich mitunter aus recht großer Höhe herab, bevor sie die am Ufer wartende Mutter erreicht haben und mit ihr zusammen zum rettenden Schilfgürtel des Sees eilen.

In Finnland hängen die Menschen, die ein Seegrundstück haben, schon seit Jahrhunderten am Ufer einen Nistkasten für ihre Schellente auf. Und diese Vögel sind sehr auf die Nisthilfe angewiesen, da verlassene Schwarzspecht-Höhlen aus dem Vorjahr, die sie gerne benutzen würden, nicht unbedingt in Ufernähe liegen und meistens schon von anderen Höhlenbrütern wie Tauben, Dohlen, oder Eulen besetzt sind.

Vollends war es um mich geschehen, als ein Zufall mich viele Jahre später ein solches Abspringen der Küken aus einem Nistkasten in der Nachbarschaft miterleben ließ. Ich kaufte unmittelbar nach diesem Erlebnis vier Großnistkästen und hängte sie für die nächste Brutsaison in die Bäume an unserem Ufer. Bis zum nächsten Frühling vertiefte ich mich in alle erreichbare Fachliteratur über Schellenten. Besonders viel Interessantes und Wissenswertes stand in dem 1960 erschienenen Buch „Die Insel im Vogelsee“, des finnischen Naturschriftstellers Yrjö Kokko. Der Autor beschreibt darin seine ersten Erlebnisse mit diesen Vögeln.

Mit großer Spannung erwartete ich im nächsten Frühjahr am Ufer des Vesijärvi schon ab Mitte April die Ankunft der ersten Wasservögel. Das war deutlich zu früh. In Finnland ist es um diese Zeit noch recht winterlich, und der See trug noch eine dicke geschlossene Eisdecke. Viel Geduld war also noch gefordert, aber das war ich von anderen Tierbeobachtungen schon gewohnt.

Endlich zeigten sich Anfang Mai durch allmählich einsetzendes Tauwetter erste freie Wasserstellen, die dann sofort von balzfreudigen Gänsesägern, Schellenten, Tafelenten, Haubentauchern und Singschwänen besetzt wurden.

„Werden die Schellenten wohl die vier angebotenen Nistkästen an unserem Ufer annehmen?“ war die wichtigste Frage, denn davon hing es ab, ob ich von den Schellenten überhaupt etwas beobachten und erfahren könnte. Durch stärkeres Tauwetter weiteten sich die freien Wasserflächen auf dem See dann zusehends aus, die Balzfreudigkeit bei allen Wasservögeln nahm deutlich zu und meine Spannung wuchs. Immer häufiger hörte man jetzt das schellende Geräusch vom Flügelschlag der Schellenten, das diesen Vögeln ihren Namen gab. Vom See her ertönte vielstimmiger Balzgesang aller Wasservögel. Dieser Klang erinnerte mich immer mehr an „Cantus arcticus op, 61“, den der finnische Komponist Einojuhani Rautavaara so eindrucksvoll der Natur abgelauscht und in seiner Komposition nachempfunden hatte.

Die vier Uferbäume hatten voneinander einen Abstand von jeweils etwa 10m, und die Großnistkästen waren verschieden hoch (1,50 bis 4m) aufgehängt. Gleich zu Beginn interessierte sich ein Schellenten-Paar für den höchsten Kasten in einer Kiefer, ein zweites Paar kurze Zeit danach für den niedrigsten Nistkasten in einer Birke.

„Werden wir mit den Schellenten in diesem Sommer am Ufer harmonisch miteinander leben können?“ war die nächste wichtige Frage, denn gerade in der Uferregion spielte sich auch ein großer Teil unseres Sommerlebens ab. Zunächst ließen sich die Schellenten nicht durch unsere Überlegungen abhalten und trieben intensiv ihre Balzspiele miteinander. Das sind aber eigentlich keine Spiele, sondern in erster Linie harte Kämpfe der Erpel mit den Konkurrenten um die Weibchen.
Nach sehr kurzer Zeit hatte sich schon herausgestellt, dass vier Nistkästen für unser Ufer zu viel sind. Die balzwütigen Erpel stürzten sich auf jede Ente, die einen Nistkasten in Richtung See verließ. Für ein geregeltes Schellentenleben war das zu unübersichtlich, wenn mehr als zwei Nistkästen in den Uferbäumen hingen. Um diese Unruhe am Ufer zu beenden, entfernte ich die beiden Nistkästen von den mittleren Bäumen. Zum Glück waren darin noch keine Eier. Weiter hinten im Wald bekamen sie an zwei Birken ihren neuen Platz. (Sie wurden schon kurze Zeit später wieder angenommen, denn an verlassenen Bruthöhlen von Schwarzspechten aus dem Vorjahr und geräumigen Nistkästen herrscht in unserem Gebiet großer Mangel. Ein Eichhörnchen richtete sich in einem Kasten seinen „Ersatz Kobel“ ein, den anderen besetzte später ein Habichtskauz.)

Die zwei am Ufer gebliebenen Nistkästen hatten nun einen Abstand von etwa 25m voneinander und schon ihre festen Besitzer gefunden. Und von da ab herrschte eine gewisse Ordnung. Die beiden Schellentenpaare hatten die Uferregion so aufgeteilt, dass jedes um ihren Nistkasten herum ihr eigenes Revier besaß. Wenn jetzt aber einmal ein einzelner fremder Erpel mit Balzlust erschien, wurde er sofort heftig von den „Haus-Erpeln“ bekämpft und anschließend eine längere Strecke in der Luft verfolgt. Dabei war das Schellen in der Luft laut und deutlich zu hören.

Der vom Rivalenkampf zurückkehrende Erpel balzte dann auf dem See vor dem Nistkasten besonders intensiv um das Weibchen herum. Er warf dabei den Kopf auf den Rücken und trat ganz schnell mit den Füßen, dass Wasser aufspritzte. Dabei ertönte zum Schluss ein „knirr“. Das Weibchen legte sich flach aufs Wasser und zeigte seine Paarungsbereitschaft mit tiefem schnarrenden „berr…berr..berr“. Bei der Begattung ergriff der Erpel das Weibchen beim Nackengefieder, bestieg es und drückte es komplett unter Wasser. Zuletzt tauchten beide noch einmal kurz und schlugen nach dem Auftauchen kräftig mit den Flügeln. Das bedeutete, die Paarbildung war endgültig vollzogen. Der erste Nistkasten oben in der Kiefer war von diesem Paar ausgewählt und bezogen worden. Bei dem anderen Paar am zweiten Nistkasten unten in der Birke verlief es ganz ähnlich.

Nun gab es also zwei Schellentenpaare an unserem Ufer, und man durfte gespannt sein, was es von ihnen zu sehen und zu erfahren geben würde. Von Anfang an war klar, dass ich meine Beobachtungen auf den niedrig in der Birke hängenden Kasten konzentrieren würde, weil er vom Ufer leicht erreichbar war und eine schnell abnehmbare Vorderwand hatte. Das Familienleben der Enten im Kasten 4m hoch oben in der Kiefer wollte ich nur am Rande mitbeobachten. Beim Blick nach oben plagte mich dann ein schlechtes Gewissen, ob ich den Küken nicht vielleicht ein zu großes Risiko zugemutet hätte. Unter dem Nistkasten befand sich nämlich nur blanker Granitfelsen mit einem Wachholderbusch und ganz wenig Moos. Ändern konnte ich nun an dieser Situation nichts mehr und musste einfach hoffen, dass alles gutgehen würde.

Inzwischen war das Eis weiter geschmolzen, und die freie Seefläche bot für das Balzen aller Wasservögel genügend Platz. Die Schellenten waren nun so richtig in Balzlaune und bestimmten mit schellendem Flügelschlag das Hauptgeschehen über dem See. Als einer der Erpel einen Nebenbuhler vertrieb, strichen beide sehr dicht an mir vorbei. Dabei fiel auf, dass er beim Flug kurz den Kopf in den Nacken legte, so ähnlich, wie sonst beim Balzritual.

Der spiegelglatte See mit wolkenlosem Himmel und Sonnenschein ließ bei den Schellenten wieder die Liebe und auch Eifersucht aufleben. Es zeigte sich, dass der Schellerpel ein sehr argwöhnischer Gatte ist, der jeden Rivalen sofort angriff und vertrieb. Danach warb er meist abermals mit Erfolg um sein Weibchen. In dieser ersten und sehr starken Phase der Balz wurden die Nistkästen ausschließlich von den Weibchen und nur zur Eiablage besucht. Der Erpel wartete dann in der Nähe, bis die Ente wieder herauskam und spielte sein Balzritual ab. Das Weibchen zeigte erneut seine Paarungsbereitschaft, indem es sich flach aufs Wasser legte. Die Paarung erfolgte wiederum mit Geplätscher und untergetauchter Partnerin. Danach flogen beide gemeinsam zum Fressen weit hinaus auf den See. (Schellenten fressen hauptsächlich Wasserinsekten, Kleinkrebse usw., die sie während des Tauchens vom Seegrund aufnehmen.) Bei meiner letzten Kontrolle Ende April waren noch keine Eier in den Nistkästen, aber die Ente flog nun sehr regelmäßig hinein. Nach vier weiteren Tagen – es war bereits der 3. Mai – gab es dann täglich günstige Momente zum Überprüfen des Geleges. Heute waren 4 blaugrüne Eier im Nest, die unter einer Daunenschicht gut verpackt waren. Jetzt beobachtete ich täglich, in welchem Abstand die Eier gelegt wurden. Das störte die Ente nicht, weil dies nur in ihrer Abwesenheit geschah, wenn sie zum Fressen auf dem See war. Ich versuchte mich auch sonst möglichst unauffällig in das Geschehen am Ufer einzufügen, und das gelang. An das vom Ufer wegfahrende und heimkehrende Ruderboot oder Kajak hatten sich die Enten nach kurzer Zeit gewöhnt, und um sonstige Bewegungen am Ufer oder auf dem Steg kümmerten sie sich überhaupt nicht mehr. Wir gehörten jetzt einfach zu ihrem Leben.

Beim letzten Nachsehen am 6. Mai waren 7 Eier im Nistkasten. Seit meiner ersten Nestkontrolle mit vier Eiern am 3. Mai wurde also jeden Tag ein Ei gelegt. Die Eier waren immer mit Daunen zugedeckt, wenn die Ente den Kasten zum Fressen verlassen hatte. (6 – 7 Eier waren es in den Vorjahren gewesen.) Das Gelege war also jetzt komplett, und das Brüten konnte beginnen. Das war nun die Aufgabe der Ente für die nächsten vier Wochen.

Schellenten auf dem Vesikärvi in Finland

In der Abendsonne waren hin und wieder die Schellentenerpel auf dem See zu sehen. Ihre Balzzeit war aber beendet. Sobald ein Weibchen zum Fressen vom Nistkasten kam und der Erpel seine Werbeversuche machte, ließ sie ihn „abblitzen“. Da war wohl zunächst nicht viel Neues im Uferbereich zu erwarten, aber ich hatte mich gründlich getäuscht.

Nach vier weiteren Tagen war es eines Morgens sehr sonnig und windstill. Aber am Schellenten-Nistkasten in der Birke ging es hoch her. Der Erpel hatte wohl eine neue Freundin gefunden, balzte mit ihr heftig und wollte ihr „sein Haus“ zeigen. Seine Frau, mit der er immerhin sieben gemeinsame Eier hatte, war damit jedoch gar nicht einverstanden und wehrte alle Anflugversuche der Rivalin ab. Als die es aber immer wieder versuchte, stürzte sie sich vehement auf die Nebenbuhlerin und traktierte erst sie und dann auch den Erpel mit heftigen Schnabelhieben. Die beiden Geprügelten zogen dann über den See ab, und unsere Schellente verschwand wieder in ihrem Nistkasten. Sie war anschließend sehr unruhig und verließ mehrmals ihr Gelege. Bei einer solchen Gelegenheit habe ich dann erneut nachgesehen und fand – sorgfältig unter Daunen verpackt – 8 Eier im Gelege.

Eier der Schellente

Das warf Fragen auf! War nun das 8. Ei das letzte im normalen Gelege und wurde direkt im Anschluss an das 7. Ei gelegt, oder hat heute in den frühen Morgenstunden die neue Freundin des Erpels dem kompletten Gelege unserer Ente ein Not-Ei zugefügt, als so sehr um den Kasten herum gekämpft wurde? (Mit Not-Ei bezeichnet man solche Eier, die ein Vogel legt, bei dem schon die Ei- Erzeugung angelaufen ist, bevor er ein Nest bezogen hat. In seiner Legenot wird dann das Ei irgendwo hingelegt.) Ob ich das wohl später aufklären kann? Ja, vielleicht nach dem Schlüpfen der Küken. Wenn dann ein Ei übrigbleibt, bedeutet das, dass es später von der Rivalin gelegt wurde. Am nächsten Tag hatte die Schellente mehrmals den Nistkasten verlassen und kam jeweils nach einer knappen Stunde zurück. Abermals gab es dadurch eine Gelegenheit zur Kontrolle. Es war bei 8 Eiern geblieben, die auf das Ausbrüten warteten. Nun konnte ich mich etwas mehr mit dem Beobachten des anderen Nistkastens beschäftigen, der in 4m Höhe für eine regelmäßige Kontrolle zu ungünstig hing. Hier lief ein ähnliches Geschehen ab. Die Schellente flog regelmäßig zum Fressen aus und ein und ließ sich dabei nicht stören, wenn unter dem Kasten unser normales Sommerleben ablief. Ich konnte also davon ausgehen, das Abspringen der Schellentenküken in diesem Jahr aus der Nähe und mit etwas Glück sogar doppelt erleben zu dürfen.

Es wunderte mich immer, wie die Ente bei ihrer Rückkehr vom See den Nistkasten oben in der Kiefer mit hohem Tempo anflog, dann zielsicher das Loch erreichte und im Kasten verschwand. Problemlos gelang ihr das bei normalem Wetter, aber bei einem heftigen Nordweststurm hatte sie Schwierigkeiten. Sie benötigte fünf Versuche, um ins Loch zu kommen. Durch den starken Rückenwind wurde sie immer vorbeigetrieben und konnte es nicht treffen. Zuletzt kam sie dann ganz niedrig vom See her angeflogen, stieg erst kurz vor dem Baumstamm steil hoch und erreichte so endlich das Einflugloch.

Im Nistkasten an der Birke war es bis zum frühen Abend ruhig. Die Ente machte ihre normale Fresspause von fast einer Stunde und kehrte dann zum Gelege in den Kasten zurück. Gegen 20 Uhr kreuzte dann der Erpel mit seiner neuen Freundin wieder vor dem Nistkasten auf und spielte sein ganzes Balzritual ab. Die brütende Ente interessierte das nicht mehr. Nach einer halben Stunde verschwanden die beiden in Richtung See.

An einem der nächsten Morgen lag auf dem Felsen an unserem Ufer ein blaugrünes Schellentenei. Das war mit Sicherheit das Notei einer Ente, die eine Nisthöhle gesucht und nicht mehr rechtzeitig gefunden hatte. Vielleich wollte sie ihr Ei in den Nistkasten an der Birke legen, aber die brütende Schellente ließ in ihrem Nistkasten keine Besuche zu. Das hatten die Beobachtungen vor einigen Tagen deutlich gezeigt.

Bis Anfang Juni gab es nichts Aufregendes zu beobachten. Als aber am 5. Juni frühmorgens unerwartet eine Schellente fünf Küken direkt am Ufer vorbeiführte, war ich sofort hellwach. Sollte ich etwa ein Abspringen schon verpasst haben? – Bald konnte ich mich beruhigen, denn unsere beiden Enten flogen kurz hintereinander in ihre Kästen zurück. Sie hatten also normal gefressen, aber jetzt war es sicher, dass die Küken aus beiden Nistkästen ganz bald springen würden. Bis jetzt hatte ich also nichts verpasst.

Zwar war mir so ein Abspringen von Schellentenküken nicht ganz neu, aber ich war noch nie so nahe dabei, wie es in diesem Jahr möglich sein könnte. Im ersten Nistkasten an der Kiefer mehrten sich am 6. Juni die Hinweise, dass das Abspringen unmittelbar bevorstand. Die Küken konnten daraus nicht direkt ins Wasser springen, sondern mussten aus etwa 4m Höhe zwangsläufig auf einem Felsen landen. Weil dieser Kasten von mir nicht so intensiv kontrolliert werden konnte, hatte ich zu dieser Entenfamilie auch nicht eine so enge Beziehung aufgebaut. Nach einigen zeitlichen Fehlvermutungen von mir war es dann am Spätvormittag endlich so weit. Es war sonnig und fast windstill. Die deutlichen Anzeichen der Entenmutter mit Unruhe und ihrem „rärr…rärr…rärr“ erforderten jetzt meine volle Aufmerksamkeit, denn ich wollte unbedingt beobachten und sehen, wie die Küken beim Sprung aus größerer Höhe mit dem harten Untergrund zurechtkommen.

Lange musste ich gar nicht warten, da ging es oben im Kasten auch schon los. Man konnte es kaum nachvollziehen, so schnell sprang ein Küken nach dem anderen und segelte in die Tiefe. Das erste prallte auf den Felsen, wurde noch einmal hochgeworfen und rappelte sich wieder auf. Das zweite und dritte landeten im Wachholderbusch, der direkt unter dem Kasten stand. Von dort fielen sie auf das Moos. Das vierte und das fünfte folgten fast zeitgleich hinterher. Beide stürzten direkt auf den Felsen und gelangten von dort ins weiche Moos. Das fortlaufende „rärr…rärr..rärr“. der Ente lockte nun noch das letzte Küken aus dem Nistkasten. Es segelte auch ins Moos. Vom Landeplatz der Küken bis zum Wasser waren es etwa 2m und ein Höhenunterschied von 40 cm. Alle Küken folgten sofort nach der Landung dem Ruf der Mutter ins Wasser. Da schwammen und tauchten sie sofort, als ob sie das schon immer gemacht hätten.

Und endlich konnte ich die Kleinen zum ersten Mal ganz aus der Nähe betrachten und entdecken, wie entzückend sie sind. Schwarze „Wollknäuel“ mit weißen Bäckchen und zwei weißen Flecken auf dem hinteren Rücken und mit tiefschwarzen Knopfaugen wuselten so durcheinander, dass sie kaum zu zählen waren. Als sechs Küken ihre Mutter erreicht hatten, schien sie keine weiteren mehr zu erwarten und schwamm auf einen dichten Schilfgürtel in Ufernähe zu. Im „Entenmarsch“ schwammen die sechs Küken direkt hinter ihr her. Sie hatten damit zu meiner Erleichterung den Sprung auf den Granitfelsen unverletzt überstanden. Im dichten Schilf sind sie zunächst relativ sicher und werden von ihrer Mutter geführt und behütet. Ob ich sie einmal wiedersehen würde, war ungewiss. Schellenten bleiben mit ihren Küken wohl in der Nähe, ziehen mit ihnen aber gewöhnlich von Bucht zu Bucht, … und davon gibt es hier außerordentlich viele.

Nun konnte ich mich auf das Beobachten der Schellente in der Birke konzentrieren. Sie wirkte am 7. Juni sehr unruhig, verließ mehrmals den Kasten und kehrte kurz darauf zurück. Aber bis zum Abend geschah nun nichts mehr. Sie flog jedoch noch einmal zum Fressen auf den See hinaus. Diese Gelegenheit wurde von mir zu einer letzten Kontrolle genutzt. Im Kasten sah ich eine große Menge Daunen. Darunter waren keine Eier mehr zu ertasten, sondern Wärme und leichte Bewegungen. Die Küken waren also geschlüpft. Mehr wollte ich nicht wissen und zog mich zurück. Da mir aus den bisherigen Erfahrungen bekannt war, dass die Ente ihre Küken wegen der kühleren Nachttemperaturen nicht in der Nacht oder am frühen Morgen aus dem Kasten lockt, konnte ich unbesorgt meinen Beobachtungsplatz bis zum nächsten Vormittag verlassen. Das Warten auf ein bestimmtes Ereignis in der Natur erfordert sehr viel Geduld. Darauf war ich vorbereitet und begann meine Beobachtungen wieder gegen 12 Uhr am Mittag. Etwa eine Stunde später flog die Schellente aus dem Nistkasten, tauchte und fraß in der Nähe. Nach einer halben Stunde kehrte sie dorthin zurück. Sie wirkte dabei besonders unruhig. Ich vermutete, dass der Absprung der Küken in Kürze stattfinden würde, musste aber noch lange warten. Bis etwa 16:00 Uhr saß ich auf dem Beobachtungsstuhl am Ufer, der in einem Gebüsch nur etwa fünf Meter vom Nistkasten entfernt ist.

Schellente im Vogelkasten

Da schaute die Ente auf einmal aus dem Kasten heraus, blickte intensiv in alle Richtungen und zog sich dann noch einmal kurz zurück. Dann flatterte sie aufs Wasser direkt unter dem Kasten und rief die Locktöne „rärr…rärr…rärr“, die mir aus Beobachtungen des Vorjahres bereits vertraut waren und die auch von der anderen Ente vor zwei Tagen zu hören waren, als sie ihre Küken zum Absprung aufforderte. Nacheinander sprangen dann sieben Küken aus dem Kasten ins Wasser. Als ob die Ente die Küken gezählt hätte, schwamm sie sofort mit der Gruppe ins nahe Schilf, als das siebte Küken gesprungen war. Diese kleinen Schellentenküken werden in den ersten Tagen oft eine Beute von Möwen, Rohrweihen und Nebelkrähen. Daher ist Eile erforderlich, sie zunächst einmal an einen einigermaßen sicheren Ort zu führen.

Nun hatte ich also das doppelte Glück gehabt, alle unsere Küken beim Abspringen gesehen zu haben. Obwohl dieses Erlebnis für mich nicht mehr ganz neu war, ist es doch abermals etwas Besonderes gewesen. Und ich war außerordentlich erfreut, dass die Küken, auf die wir während der Brutzeit in der Umgebung des Nistkastens so viel Rücksicht nehmen mussten, erst einmal vollzählig und unverletzt im Wasser gelandet waren.

Einige Fragen waren noch aufzulösen:
Das siebte Ei war am 9. Mai gelegt worden. Nehmen wir einmal an, dass der Brutbeginn am 10. Mai war, dann betrug die Brutdauer 29 Tage. Diese Zeit deckt sich mit den Angaben aus dem Buch „Die Schellente“ von Blümel/Krause. Am nächsten Morgen habe ich den Nistkasten zum Säubern abgenommen. Ein unversehrtes grünblaues Ei lag noch darin. Auf den Sägespänen waren am Rand kleine Zweige zu einem Nest geformt. Vermutlich hat das ein Eichhörnchen im Herbst gemacht, denn Schellenten können Nistmaterial nicht eintragen und auch nicht entfernen. Das ganze Nest war stark mit Daunenfedern ausgepolstert. Am Boden lagen Reste von zerbröckelten Eierschalen. Das gefundene Ei habe ich aufgeschlagen. Darin war ein totes, fast fertig entwickeltes Küken, das vielleicht weitere 1 – 2 Tage Brutzeit benötigt hätte. Damit hat sich meine Vermutung bestätigt, dass nach Brutbeginn ein weiteres Ei einer anderen Ente zum schon vollständigen und bereits angebrüteten Gelege dazu gelegt wurde. Ich habe den Kasten wieder mit einer Bodenschicht Sägemehl gefüllt und an derselben Stelle für die Brutperiode im nächsten Jahr aufgehängt.

Nach dem Glücksgefühl vom Vortag wurde nun der nächste Tag recht traurig. In der Mittagszeit hörte ich eine Schellente auf dem See laut rufen und sah, wie sich eine Rohrweihe aus der Luft mehrmals auf die Küken stürzte, die oft im letzten Augenblick wegtauchten. Die Entenmutter versuchte, ihre Küken tapfer zu verteidigen, indem sie der Rohrweihe aus dem Wasser immer wieder entgegen sprang, konnte aber den Verlust von mehreren Küken letztendlich nicht verhindern. Als allmählich Ruhe eingekehrt war, waren nur noch 2 Küken übriggeblieben. Bei solchen Situationen möchte man am liebsten eingreifen, um junge Tiere zu schützen. Das habe ich aber letzten Endes doch nie gemacht, um das – wenn auch manchmal grausame – Geschehen in der Natur nicht zu beeinflussen.

Auch die andere Schellentenfamilie wurde auf dem See angegriffen. Ich musste mit ansehen, wie sich eine Silbermöwe mehrmals auf die am Vortage geschlüpften Küken stürzte. Die Mutter warnte die ganze Zeit und sprang aus dem Wasser der Möwe entgegen. Die Küken konnten sich durch Tauchen und schnelle Richtungsänderungen vor den Angriffen retten. Sie hatten diesen Angriff überlebt. Gesehen habe ich sie danach nicht wieder, aber es blieb die Hoffnung, dass sie von Tag zu Tag wendiger und dann bald für alle Fressfeinde als „Portionshappen“ schon zu groß sein würden.

Durch diese Beobachtungen und Schlussfolgerungen wurde auch ein Rätsel aufgelöst, das mich schon seit längerer Zeit beschäftigt hatte. Oft hatte mich gewundert, warum sich die Anzahl von Entenküken in den ersten Tagen nach dem Ausschlüpfen so stark verminderte. Nun war mir klar, warum die frisch geschlüpften Entenküken etwa zwei Wochen lang von ihren Fressfeinden so besonders begehrt sind. Die Rohrweihen, Möwen und Nebelkrähen haben zu diesem Zeitpunkt auch ihre Brut zu versorgen, sind pausenlos auf Futtersuche und stürzen sich auf alles, was größenmäßig als Beute geeignet ist.
Einige Tage später „schellte“ es in der Luft. Ein Schellentenweibchen flog in den Nistkasten und blieb einige Zeit darin. Ich bedauerte, dass die Kamera im Haus war, denn es war in dem Jahr mein großer Wunsch, eine Schellente, am Ausflugloch sitzend, zu fotografieren.

Es bestand kaum Hoffnung, dass sie lange genug im Kasten bleiben würde, bis die Kamera zur Stelle war. Trotzdem lief ich los und hatte wirklich Glück. Es schien sogar so, als ob die „Dame“ auf ihren Fotografen gewartet hätte, denn gerade waren Entfernung und Belichtung eingestellt, als sie im Loch erschien und so lange sitzen blieb, bis mehrere Aufnahmen gemacht waren.

Es war nun bereits Mitte Juni geworden und erstaunlicherweise sehr viel Betrieb an den Nistkästen. Gegen Mittag tobte ein heftiger Kampf zwischen zwei Schellentenweibchen auf dem Wasser und teils auch unter Wasser. Die Siegerin verfolgte die Unterlegene im Flug lange über die Bucht. Beide kehrten nicht mehr zurück. – Da waren wieder Antworten auf neue Fragen zu suchen.

  • Waren das die Enten, die bei uns gebrütet hatten? Sind die Küken vielleicht schon eine Beute der vielen Fressfeinde geworden?
  • Wäre dann eventuell eine Nachbrut möglich, und die Ente besuchte den Kasten zur erneuten Eiablage?
  • Oder waren es vielleicht Jungenten aus dem Vorjahr, die sich schon einmal nach Brutstellen für das nächste Jahr umsahen?

Einige Tage später hörte ich Schellentenrufe vom See her und „Schellen“ in der Luft. Es flogen vier Schellenten andauernd in der Bucht herum. Zwischendurch versuchte eine den Nistkasten anzufliegen, konnte sich aber nicht halten und zog wieder ab. In der nächsten halben Stunde konnte ich anhand der verschiedenen Flugtechniken mehrere Schellentenweibchen unterscheiden. Eine kam über unser Grundstück, eine links vom See her, eine dritte versuchte direkt in das Loch zu fliegen, die vierte flog tief an und stieg dann steil hoch. Zwei saßen im Wasser am Ufer und riefen „rär.. rär.. rär“. Zwischendurch waren auch mal zwei Enten gleichzeitig im Kasten. Als sie wieder heraus waren, flog eine andere vom Wasser aus direkt in den Kasten und blieb kurze Zeit darin.

Wer weiß, wie lange diese Wohnungsbesichtigung angedauert hätte, wenn nicht unser Nachbar auf seinem Steg erschienen wäre, um sich zum Angeln bereitzumachen. Plötzlich flogen alle 6 Enten weg und kamen an dem Tag nicht zurück. Mehrere Tage standen unsere Nistkästen noch bei vielen Schellenten im Interessenmittelpunkt. Dann ließen sie mich etwas ratlos mit der Suche nach Erklärungen zurück. Etliche Auflösungen gab es noch im selben Jahr. In einem älteren finnischen Bestimmungsbuch war zu lesen, dass Schellenten erst im zweiten Lebensjahr fortpflanzungsfähig sind, dann im Juni auf „Verlobungstour“ fliegen und sich schon nach einem Brutgebiet mit Nistgelegenheiten für das nächste Jahr umsehen.

Und im Buch „Die Schellente“ von Blümel/Krause aus dem Jahr 1990, das ich später in Deutschland gekauft habe, fand ich viele meiner Beobachtungen und Vermutungen von Fachleuten bestätigt. Lange haben mich diese Schellenten begeistert und beschäftigt. Vieles konnte ich inzwischen aus ihrem Leben beobachten und erfahren, aber immer noch gibt es etliche Geheimnisse aufzuklären. Und so waren, sind und bleiben die Schellenten für mich noch immer diese rätselhaften Vögel, die sich so einfach nicht durchschauen lassen.

2 Kommentare

  1. Kiitos Werner Telkkä-blogistasi! Nyt vasta luin sen. Yritin ymmärtää saksan kieltä ja kysyin Jyrkiltä apua. En onnistunut suomennoksen avaamisessa.
    Olet tehnyt suuren työn. Mielenkiintoisia havaintoja usealta vuodelta. Myös kuvat ovat tosi hyviä! Telkkä on minulle vieraampi seurattava, mutta tunnistan sen muitten sorsalintujen joukosta. Kolopesijä, joka tosiaan useimmiten saa ihmisen rakentaman pöntön. Joskus olen kuullut sen menettäneen pesänsä jopa pöllölle. On kiva jakaa sinun kanssasi luonnon havainnointia. Nyt talvella saamme taas iloita tutuista vieraista ruokintapaikallamme.
    Terveisin Maaret

    Übersetzung aus dem Finnischen
    Danke Werner für dein Schellenten-Tagebuch! Ich habe es gerade gelesen und habe versucht, die deutsche Sprache zu verstehen. Dabei habe ich Jyrki um Hilfe gebeten. Es ist mir nicht gelungen, die englische Übersetzung zu öffnen.
    Du hast eine großartige Arbeit geleistet. Es sind Interessante Beobachtungen aus mehreren Jahren. Die Bilder sind auch wirklich gut! Die Schellente und ihr Verhalten sind mir fremd, aber ich erkenne sie unter den anderen Entenvögeln. Ein Höhlenbrüter, der in der Tat meistens einen vom Menschen errichteten Nistkasten benötigt. Ich habe sogar gehört, dass er seinen Nistplatz manchmal an eine Eule verloren hat. Es ist schön, meine Beobachtungen in der Natur mit Dir zu teilen. Jetzt im Winter können Jyrki und ich uns wieder über vertraute Gäste an unserer Vogel-Futterstelle freuen.
    Mit freundlichen Grüßen Maaret.

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